Zwei Affen schreien sich an. Schwarz weiß Fotomontage.

Männer zivilisieren!

Philipp Eigner
16 min readJun 7, 2022

--

Ich bin ein Mann, der hinter feministischen Idealen steht. Wie sollte ich mich nun einbringen? Wenn dieser Gedanke von dir stammen könnte, ist dieser Text für dich bestimmt. Er behandelt Handlungsmöglichkeiten von Männern in Gruppen von Männern.

Viel ist bereits darüber geschrieben worden, wo der Platz der Männer im Feminismus ist. Die Texte von Margarete Stokowski[1] und Nils Pickert[2] sind nur zwei sehr gute Beispiele, die einordnen was männlicher Feminismus ist, sein sollte und nicht sein sollte. Kurz zusammengefasst sind die Grenzen und Anforderungen für Männer in feministischen Zusammenhängen folgende:

  • Es ist nicht die Aufgabe männlicher Feministen, Frauen den Feminismus zu erklären. Das zu tun fiele unter Mansplaining. Mansplaining wird genannt, wenn Männer den umstehenden Frauen in väterlicher Weise ungefragt Dinge erklären, in denen diese Frauen die eigentlichen Experten sind[3]. Da Expertenwissen keinem Menschen anzusehen ist, kommt Mansplaining auf fast jedem Gebiet vor, nicht nur beim Thema Geschlechtergerechtigkeit. Das einzig zuverlässige Rezept um Mansplaining zu vermeiden, ist, zuzuhören, sich in Bescheidenheit zu üben und von der kulturell gelernten Annahme zu verabschieden, Männer seien in bestimmten Bereichen gebildeter. Männer haben bereits viel Raum im öffentlichen und privaten Diskurs. Frauen den Feminismus zu erklären, wäre ein Gewinnen weiterer Redeanteile in Bereichen, die besonders davon leben, dass sie einen Raum für unterprivilegierte Stimmen bieten. Das stünde dem übergeordneten Ziel der Selbstermächtigung von Frauen entgegen. Außerdem wäre es für einen Mann mit feministischem Anspruch peinlich in Mansplaining zu verfallen, da die Wirkungsweise von Mansplaining ein häufiges Kolumnenthema der letzten Jahre war[4].
  • Stattdessen: Zuhören, sich selbst reflektieren und akzeptieren, dass nicht immer ein Mann das letzte Wort haben muss, wenn es darum geht, gesellschaftliche Phänomene zu beschreiben und einzuordnen.
  • Im Hier und Jetzt mehr Sorge-Arbeit übernehmen. Dies nicht als “Ich helfe Frauen bei der Care-Arbeit” darstellen, sondern die Arbeit verantworten. Das heißt, anzustreben, mehr als fünfzig Prozent der Küchen-, Putz- und Betreuungsarbeit zu übernehmen. Außerdem nicht nur für die Ausführung einzelner Tätigkeiten, sondern auch für die Organisation des Was und Wann verantwortlich zu sein und somit die gedankliche Last (Mental Load[5]) auf mehrere Schultern zu verteilen.
  • Konsensuelle Sexualität leben. Wissen was Vergewaltigung und Übergriff ist und diese auch innerhalb von Beziehungen so nennen[6]. Wissen wollen was Sexualpartner*innen brauchen, um den größtmöglichen Genuss aus Sex zu ziehen und sich zu keinem Zeitpunkt missbraucht zu fühlen. Reden über Vorlieben, Abneigungen und Signale, die Zustimmung oder Ablehnung bedeuten.
  • Kein Unsympath sein. Sexistische und rassistische, ableistische, klassistische Sprüche so gut es geht vermeiden. Wissen wollen warum und auf welche Weise solche Sprüche diskriminierend sind. Bereit sein, weitere blinde Flecken bei sich selbst zu erkennen und zu vermindern. Akzeptieren, dass fortlaufend Fehler und Inkonsequenzen passieren werden. Sachlich mit diesbezüglichen Anschuldigungen umgehen, um zukünftig besser zu werden.
  • Andere Männer zivilisieren.

Andere Männer zivilisieren? Das klingt provokant. Es ist aber die vielleicht ursprünglichste Aufgabe die Mann als Privilegienträger übernehmen kann: Privilegien zu nutzen, um unterprivilegierten Anliegen Gehör zu verschaffen. Nichts verunsichert überhebliche Männerrunden stärker als Kritik aus sicher geglaubten eigenen Reihen.

Wie funktioniert dieses Zivilisieren? Wer wird wie erreicht? Welche Widerstände sind zu erwarten? Dem will ich mich in diesem Text widmen. Rein maskuline Wortformen kommen in diesem Text immer dann vor, wenn es um das Verhalten von Männern und reinen Männerrunden geht.

Was soll das heißen, “Männer zivilisieren”?

Sind Anzug tragende Vorstandsetagen, die über große Investitionssummen entscheiden, oder Theaterregisseure, die hochgelobte Inszenierungen leiten, etwa nicht zivilisiert? Meines Erachtens nicht, solange Sekretärinnen hinterhergepfiffen wird, wenn sie am Konferenzraum vorbeigehen, Kolleginnen nicht ernst genommen werden oder sexuelle Belästigung erfahren müssen, um an bestimmte Theaterrollen[7] zu kommen. Dann kann von Zivilisation keine Rede sein. Wenn Zivilisierung als kulturelle Bändigung tierischer Verhaltensweisen gilt, bedeutet Zivilisierung anderer Männer nichts anderes, als einer Gruppe von Privilegienträgern ihr Privileg vorzuhalten und zu verlangen, dass die oben genannten grundlegenden Forderungen menschlichen Umgangs beachtet werden sollen. Wichtigstes Charaktermerkmal einer Privilegierung ist es, sich nicht mit seinen eigenen Privilegien beschäftigen zu müssen. Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass in reinen Männergruppen — Sportvereinen, Vorstandsetagen und Stammtischen — die Wirkmechanismen, Definitionen und Ächtungen von Vergewaltigung, erniedrigender Sprache, Gender-Pay[8]- und Care-Gap[9] genügend bekannt sind. Als jemand, der mit diesem Wissen ausgestattet ist und hinter den Schlussfolgerungen steht, kommt einem feministisch denkenden Mann die Verantwortung zu, diese heile Welt von innen zu erschüttern. Das irritiert, rüttelt auf, berührt peinlich oder führt zu Widerstand.

Die angenommene Rückendeckung der eigenen Gruppe ist ein Ansporn für (trans-)misogynes Verhalten (Trans- und Frauenfeindlichkeit). Witze und Sprüche, die sexistische Beleidigung oder Gewaltphantasien aufgreifen oder verharmlosen werden oft im Willen geäußert, Beifall zu erhalten oder für Schmunzeln zu sorgen. Hier ist es die Aufgabe feministisch eingestellter Männer, das Schmunzeln sein zu lassen und direkt aufzuklären: Deshalb lache ich nicht und deshalb willst du diese Art Witz in Zukunft nicht mehr machen.

Die Zivilisierung äußert sich insofern darin, dass Männerrunden schädliches Verhalten erkennen und sein lassen. Da Männergruppen (erst recht wenn sie weiß und heterosexuell positioniert sind) in Organisationen in aller Regel keine Macht über sich zu dulden haben bzw. selbst die Macht verkörpern, gibt es keinen wirksamen Hebel ihnen diese Zivilisiertheit von oben zu verordnen. Denn wer sollte dieses “oben” sein? Die von Internet-Trollen oft beschworene “Genderpolizei”, die angeblich diesen Hebel besitzt, existiert meines Erachtens so nicht. Was sich für Leute, die auf ihre liebgewonnenen sexistischen Witze nicht verzichten wollen, anfühlt wie eine „Genderpolizei“, ist ihr eigenes schlechtes Gewissen, das sich einstellt, weil mehr und mehr Mitmenschen zu den Themen Diskriminierung, Missbrauch und Vergewaltigung Stellung beziehen.

Die wirksamste Form selbstgefällige Männerrunden aufzurütteln ist die unerwartete Gegenrede aus eigenen Reihen. Wird diese überzeugend vorgetragen und sickert sie in immer mehr Köpfe ein, hat sie die Kraft, langfristig die Reputation derer zu schädigen, die auf altmodischen, sexistischen Verhaltensweisen beharren. Gleichzeitig stärkt sie den Zusammenhalt derer, die sich für moderne diskriminierungskritische Umgangsformen einsetzen.

Welche Männer sind es, denen ich die Zivilisiertheit abspreche?

Es ist der Außendienstler, der im Konferenzraum des Kunden sexistische Bemerkungen über die Empfangsmitarbeiterin macht, in der Hoffnung einen Lacher zu landen und common sense in der fröhlich Kaffee trinkenden Männerrunde herzustellen.

Es ist der Macker im Kollegenkreis, der sich für unwiderstehlich hält und Frauen in seinen Erzählungen als naive Hühner darstellt.

Es ist der Firmenchef, der immer wieder anklingen lässt, dass er eine Frau als Nachfolgerin für gänzlich ungeeignet hielte.

Es ist auch der Youtuber, der seiner Gefolgschaft aus pubertierenden Jugendlichen erzählt, dass Mädchen, damit sie dich respektieren, hart angefasst werden müssen.

All diese Männer beziehen ihre Bestätigung aus der Schar wohlgesonnener Jünger, die an ihren Lippen hängen. Die nicht widersprechen. Die stille Bewunderung ausdrücken. Es sind die Follower im digitalen und echten Leben, die geäußerten Ansichten social proof verleihen und denjenigen mit den reaktionärsten, himmelschreiendsten Thesen das Gefühl geben, berechtigt zu sein, weiter an ihrem Weltbild und Tun festzuhalten.

Daraus ergibt sich, wie der einzig sinnvolle Weg aussieht, diesen Sumpf auszutrocknen: Den Mackern die Gefolgschaft verweigern. Kein Lächeln, kein schmunzeln, kein Folgen sollte das Mindeste sein. Riskanter, aber letztlich unausweichlich, wenn Mann es ernst meint mit der Solidarität zu feministischen Ideen, ist es, direkt im Moment zu widersprechen und zu benennen, warum es sexistisches Verhalten war.

In diesem Moment öffnest du die Schachtel der Pandora. Einen Sexismusvorwurf auszusprechen erzeugt starke Gegenreaktionen — von anderen und bei dir selbst. Hier möchte ich Anregungen geben, wie diese Gegenreaktionen gekontert werden können.

Gegenreaktionen bei dir selbst

Selbstzweifel: Behandle ich denjenigen, den ich gerade zurechtweisen will, ungerecht? Verletze ich ihn?

Kritik sollte immer respektvoll vorgetragen werden. Persönliche Angriffe solltest du unterlassen. Der Vorwurf des Sexismus ist jedoch kein persönlicher Angriff, sondern das Ansprechen von Fakten. Dass er dennoch oft so aufgefasst wird, liegt daran, dass vielen die zugehörige Definition nicht bekannt ist (Sexismus ist die Ungleichbehandlung und -bewertung aufgrund unterstellter Geschlechtsunterschiede[10]). Viele meinen, er habe irgendetwas mit “Sex” bzw. “Sexsucht” zu tun[11] und sind dann irritiert. Diese Verwirrung lohnt es sich, je nach Gesprächsdynamik, aufzuklären. Du kannst betonen, dass jede*r, die*der in unserer Gesellschaft aufgewachsen ist — auch du selbst, in irgendeiner Form sexistisch ist (ebenso, wie auch ausgesprochene Anti-Rassisten, jede Menge rassistisches Gedankengut in sich tragen). Oft und — meiner Meinung nach — auch zu Recht wird Vertretern linker Ideen vorgeworfen, sich anhand akademischer Spitzfindigkeiten über andere zu erheben. Völlig verfehlt ist es zum Beispiel, dem Gegenüber vorzuwerfen, dass er verschiedene Eigenbezeichnungen oder Fremdwörter nicht kennt oder falsch verwendet, für die es eines sozialwissenschaftlichen Studiums bedurft hätte. Innerhalb der akademischen Betrachtung sind präzise Begriffe sehr sinnvoll. Um eine gesellschaftliche Veränderung zu erreichen, müssen diese aber auf einen für die Allgemeinheit anwendbaren Kern heruntergebrochen werden. Wir können es uns nicht leisten ganze Milieus zu vergraulen, weil sie sich durch uns gegängelt fühlen. Es sollte nicht der Punkt sein, den anderen dumm dastehen zu lassen oder sich selbst zu überhöhen.

Natürlich solltest du taktvoll vorgehen, da du im besten Fall einen Verbündeten gewinnen kannst und im schlechtesten Fall eine langfristige Blockadehaltung bei ihm erzeugst, die der Sache einer gerechteren Welt überhaupt nicht hilft. Er sollte sich nicht vorgeführt fühlen. Im Zweifel hilft ein persönliches Gespräch mehr, als Tadel vor großer Runde.

Es ist fast sicher, dass du ihn verletzen wirst. Einen so fernen Vorwurf, den Mann sonst nur aus den Fernsehnachrichten kennt, auf sich bezogen zu hören, schmerzt. Hielt er sich doch für einen guten Menschen. Und doch: Dieser Schmerz wird vorbei gehen, da er in keiner Weise mit dem vergleichbar ist, was Sexismus für seine Opfer bedeutet:

  • Zu wissen, aufgrund unterstellter Geschlechtsunterschiede zehn Mal härter arbeiten zu müssen, um die gleichen Positionen zu erreichen, oder von vornherein unter der gläsernen Decke Richtung Vorstandsetage gefangen zu sein.
  • Täglich um seine körperliche Unversehrtheit zu bangen (Ja, auch ein Betätscheln der Schulter der Kollegin beim gemeinsamen Blick auf den Bildschirm ist ein sexueller Übergriff).
  • In beruflichen Gesprächsrunden fast nie ernst genommen zu werden und sich jedes Mal gegen a) Infantilisierung (kindische Behandlung im Sinne „Lass das mal den Papa machen“) oder b) anzügliche Sprüche behaupten zu müssen, bevor der fachliche Inhalt besprochen werden kann.

Insofern solltest du nicht am falschen Ende Mitleid mit sexistischen, chauvinistischen Mitmännern haben. Meiner Meinung nach verhält es sich bei Kritik in diesem Kontext genauso wie mit Satire: Solange sie sich gegen die Mächtigen richtet ist sie legitim. Richtet sie sich gegen Schwächere, ist sie billig.

Selbstzweifel: Werde ich meinen Job verlieren, wenn ich hier zum Störfaktor in unserer eingeschworenen Männerrunde werde?

Ja. Klar. Diese Gefahr besteht. Ein gewichtiger Teil deines Standings in der Firma beruht darauf, wie du im Netzwerk wahrgenommen wirst. Wenn du dort an ungünstigen Knotenpunkten Fürsprecher verlierst, kann es sein, dass du fallen gelassen wirst. Dich fachlich unentbehrlich zu machen, kann helfen, muss es aber nicht. Kritik taktvoll anzubringen, wie oben beschrieben, minimiert ebenfalls das Risiko.

Trotz der Risiken ist niemand in einer komfortableren Position als du, Kritik zu äußern. Aufgrund der Struktur unserer Gesellschaft haben Personen, die positioniert sind wie du, das größte Stimmgewicht und zugleich die besten Chancen, bei jeder anderen Firma schnell wieder unterzukommen, sollten sich eure Wege doch trennen müssen. Jede Frau, jede trans Person, aber auch jede rassifizierte Person hat wesentlich mehr zu verlieren, wenn sie sich in der männlich weiß dominierten Gesellschaft gegen die Mächtigen positioniert.

Außerdem: Wenn du mit deiner Kritik nicht durchdringst und dir die Firmenkultur hoffnungslos verloren vorkommt — warum willst du dann weiterhin für diese Firma arbeiten?

Selbstzweifel: Werde ich meinen Freundeskreis verlieren, wenn ich Macker bloßstelle oder nicht die gleichen Influencer feiere (die unterhaltsam erzählen, dass Frauen dies oder jenes brauchen, damit sie dich als Mann respektieren)?

Aggressiv und bewusst verletzend zu sein ist meist ein Zeichen von Unsicherheit. Freunde oder Bekannte, die sich als Aggressor aufführen, suchen oft Bestätigung von dir und der Gruppe. Wenn du ihnen diese Bestätigung nicht gibst und im Vier-Augen-Gespräch erklärst warum, hast du einen großen Hebel auf deren Verhalten in der Gruppe einzuwirken.

Sollten sie allerdings danach ihr Verhalten nicht ändern wollen, gilt hier dasselbe wie im Firmenkontext: Warum solltest du mit solchen Leuten befreundet sein wollen? Lass die Freundschaft austrudeln, oder beende sie mit einem Knall (je nachdem wie viel Energie du noch aufbringen willst) und verwende deine positive Energie künftig darauf, andere Gruppen zu bereichern.

Was klingt wie der Aufruf zur Bildung von Filterblasen, ist letztlich die Anerkennung dessen, dass natürlich nicht alle Männer bereit sein werden, den Feminismus als legitimen Betrachtungsansatz zu respektieren. Das sind zum Beispiel diejenigen, die ohne verifizierten Kauf unter jedes diskriminierungskritische Buch im Online-Buchhandel eine Rezension vom Typ „Ich fühle mich hier als weißer Mann diskriminiert!“ setzen. Diese Männer werden wir nie für unsere Sache gewinnen können. Im persönlichen Kontakt solltest du einen Versuch wagen, um herauszufinden, ob es sich um Unwissen oder um Vorsatz handelt. Im letzteren Fall ist es kein Eingeständnis der Schwäche, seine Ressourcen an anderer Stelle sinnvoller weiterzuverwenden.

Schatten eines nachdenklichen jungen Mannes. Schwarz weiß Foto.

Gegenreaktionen von Anderen

Vorwurf: Du Schleimer machst das nur, um bei Frauen gut anzukommen!

Diesem Thema habe ich mich bereits an anderer Stelle gewidmet[12]. Hier musst du selbst ehrlich zu dir sein. Engagement gegen Diskriminierung solltest du nie aus dem Wunsch heraus machen, in deinem Milieu Vorteile zu gewinnen. Damit wärst du selbst genauso schädlich für das Anliegen des Feminismus wie ausdrückliche Gegner. Vielleicht sogar schädlicher, da du an Stellen Vertrauen in die Männerschaft zerstören kannst, an die reaktionäre Männer aufgrund ihrer Inkompatibilität zu bestimmten gesellschaftlichen Fiterblasen, nie gekommen wären. Die Wirkungsweise von Sexismus und Macht zu kennen, gibt dir die Verantwortung, dieses Wissen nicht manipulativ einzusetzen. Sei dir sicher, dass dein Engagement tatsächlich aus moralischer Überzeugung kommt. Dann kannst du argumentieren, dass du, als du begonnen hast dich mit feministischen Fragen zu beschäftigen auch oft verwirrt warst und Abwehr gespürt hast, es nun aber absurd wäre sich wider besseren Wissens weiterhin schädlich zu verhalten, nur um dem Vorwurf des Einschleimens zu entgehen. Ist es nicht so, dass du die beste Version von dir selbst sein willst und es als deine Pflicht ansiehst sexistische und andere diskriminierende Verhaltensweisen abzulegen, selbst wenn es eines deiner Privilegien ist, dass dich niemand dazu zwingen kann?

Vorwurf: Du machst das nur, um Existenzen zu zerstören, zu skandalisieren und Widersacher aus dem Weg zu räumen!

Oft wird Feminismus bzw. insbesondere der Vorwurf des Sexismus als Instrument der Rufschädigung gesehen[13]. Und es ist ja auch was dran. Seit feministische Positionen öfter vom Mainstream unterstützt werden, werden Tatbestände als solche benannt, die es zuvor nicht wurden. Hier galt das Sprichwort: Wo kein Kläger da kein Richter. Das heißt in dem Kontext: Wo früher keine hinreichend mächtigen Positionen existierten, die Begrabbeln am Arbeitsplatz oder abschätzige Behandlung im Mitarbeitergespräch als gewaltvolle, abzulehnende Handlung einordnen konnten, blieben diese Taten ungeahndet. Nun — durch die Zunahme feministischer Einstellung in der Gesellschaft — kommt Mann zu recht nicht mehr so häufig damit durch. Hier spreche ich nicht in erster Linie von strafrechtlichen Veränderungen, sondern vor allem von moralischen Größen, wie Ruf und Reputation.

Es ist also klar, dass ein erweitertes Bild davon, was eine Tat ist, zu mehr Tätern führt. Das ist in Bezug auf Sexismus meines Erachtens aber eine äußerst positive Entwicklung, da die Schmerzen der Opfer — im Gegensatz zur gesellschaftlichen Ächtung der Tat — nicht neu sind und immer schon existierten. Die Zahl der Opfer zu vermindern sollte ein Ziel sein, auf das sich alle einigen können. Selbstverständlich ist es aber auch die Verantwortung von Feminist*innen, dass Männer nicht zufällig durch undifferenzierte Anschuldigungen gesellschaftlich zerstört werden. Eine verübte Vergewaltigung und ein sexistischer Witz dürfen sich in den Konsequenzen für die gesellschaftliche Reputation nicht gleichen. Durch die Möglichkeit, dass Vorwürfe in sozialen Medien viral gehen, ist das Risiko, dass der Imageschaden in beiden Fällen identisch ausfällt, in den letzten Jahren größer geworden.

Es gibt viele gute Gründe, warum Männer mit sexistischem Verhalten, nicht Teil von Organisationen sein sollten. Dein persönlicher Karrierewettstreit mit ihnen sollte keiner davon sein, da dies, wenn es sichtbar wird, dem Anliegen des Feminismus schadet und ihm das Vertrauen entzieht, das zum Treiben des gesellschaftlichen Wandels dringend gebraucht wird.

Vorwurf: Du hast selber dies oder jenes gesagt!

Ein klassischer Whataboutismus-Vorwurf[14]. Adäquate Antwort darauf: Ich habe niemals gesagt, dass ich perfekt bin, oder es jemals sein kann. Was entscheidend ist, ist dass ich durch Recherche früher oder später darauf komme, dass das damals nicht okay von mir war, oder dass ich Kritik, die mir Diskriminierung vorwirft, wohlwollend aufnehme und immer davon ausgehe, dass die Perspektive der kritisierenden Person bislang wahrscheinlich einer meiner blinden Flecke war.

Vorwurf: Du bist selber auf einer Position auf der auch eine Frau hätte sein können!

Hier gilt es, mit dem Missverständnis aufzuräumen, Feminismus wolle Männern etwas wegnehmen bzw. Frauen bevorteilen. Das ist nicht der Fall. Feminismus kämpft dafür, dass zum Beispiel Entscheidung für oder gegen Bewerber*innen unabhängig von unterstellten geschlechtlichen Eigenschaften (mangelnde Stärke und Durchsetzungsfähigkeit, “Gefahr” bald schwanger zu werden) oder etablierten Netzwerken der Männerclans getroffen werden. Da diese Entscheidungen unter anderem aufgrund des Prinzips der Kooption (Vorstände wählen einen Nachfolger, der ihnen ähnlich ist[15]) in der Praxis nicht unabhängig ausfällt, ist eine Quotenregelung notwendig. Die Abwesenheit einer Frauenquote ist zugleich eine stille Männerquote. Weshalb? Weil der Status Quo davon ausgeht, dass die Einstellung oder Beförderung von Männern zunächst einmal nicht zu rechtfertigen ist, entsprechendes bei einer Frau aber durch besondere fachliche Eignung begründet werden muss. Dieses Argument gilt entsprechend natürlich auch für Quoten im Sinne des Anti-Rassismus, Anti-Ableismus und anderer, die in diesem Text aber nicht im Fokus stehen, da es speziell um Interventionsmöglichkeiten feministischer Männer in Männergruppen geht.

Vollständig entkräften kannst du die Unterstellung, dass an deinem Platz auch eine Frau hätte sein können, nicht. Du kannst nicht wissen welche Mechanismen im Spiel waren, als die Wahl auf dich fiel. Es ist dir meines Erachtens nicht anzulasten, dass du dich um die Stelle beworben hast, da du wie jede*r andere das Recht hast deine Ziele zu verfolgen. Was du aber tun kannst, ist:

· Wenn du zu Konferenzen oder ähnlichem eingeladen wirst, nur unter der Bedingung zuzusagen, dass es sich nicht um ein durchgehend männlich besetztes Podium handelt.

· Dich für eine gesetzliche Deckelung des Männeranteils in bestimmten Bereichen einzusetzen, indem du Parteien wählst, die das im Programm haben.

· Immer, wenn du in der Entscheiderrolle bist, auf eine gerechte Einstellungspolitik achten.

Vorwurf: Du Spaßverderber, du weißt doch, dass ich das nicht ernst gemeint hab! oder Jetzt will uns dieser Feminismus auch noch den Spaß verderben!

Dass der sexistische Witz deinem Gegenüber überhaupt in den Sinn kommt, zeigt, dass sexistisches Denken tief in seinem Kopf verwurzelt ist. Also, auch wenn er dieses Mal rational entschieden haben will, dass es nicht ernst gemeint war, muss Frau*Mann ihm das a) nicht glauben und spricht es b) erst recht nicht für ihn, dass er wider besseren Wissens denkt Spaß auf dem Rücken Unterprivilegierter sei okay. Es geht bei Feminismus, wie in vielen Bereichen der Political Correctness nicht darum, Spaß zu verbieten, sondern die Aussagen oder das Verhalten abzustellen, was im Alltag verletzt, soziale Realitäten schafft und deshalb kein schützenswerter Spaß ist.

Vorwurf: Es ist unfair, uns des Sexismus zu beschuldigen! Wir sind so erzogen worden!

Es ist richtig, dass jede und jeder von uns mit sexistischen Vorstellungen aufgewachsen ist. Sexismus ist strukturell in der Gesellschaft verankert. Das sollte aber doch kein Freifahrtschein sein, um die Dinge einfach so laufen zu lassen. Viele Menschen machen tagtäglich vor, dass es funktionieren kann und sich lohnt, sich dieser Gedankenfehler bewusst zu werden und sie Stück für Stück zurückzudrängen. Diese Arbeit ist umso härter, je stärker die Vorbelastung durch das Umfeld während der Erziehung war. Die Bereitschaft zur Selbstreflexion und zum Besserwerden kann aber auch dort schnelle Fortschritte erzielen. Auf die eigene Erziehung zu verweisen, ist eine Technik sich der Verantwortung zu entziehen. Das ist eines Menschen, der sich an anderer Stelle viel auf seinen Intellekt einbildet, unwürdig.

Vorwurf: Ich würde es Gleichberechtigung und nicht Feminismus nennen!

Immer wieder bin ich überrascht, wie oft dieser Einwand kommt, wenn diskutiert wird, ob Feminismus gesamtgesellschaftlich unterstützenswert sei. Es scheint viele Menschen zutiefst zu stören, dass hier der Wortherkunft nach eine Frau im Titel vorkommt, um eine Bewegung zu benennen, die dafür angetreten ist, Dinge für alle Gesellschaftsteile besser zu machen. Dabei ist dieses Bezeichnungsprinzip (es nennt sich pars pro todo — ein Teil gibt dem Ganzen den Namen) in vielen Bereichen weit verbreitet. Kaum jemand hat Probleme damit, sämtliche Schokocreme Nutella zu nennen. Auch bei den ursprünglichsten Debatten um das generische Maskulinum ist die Argumentationsweise der Gegner genau andersherum. So stellt es dann zum Beispiel kein Problem dar, gemischte Teams als Mannschaft zu bezeichnen.

Um Himmels Willen, dann nennt es eben Gleichberechtigung. Hauptsache ihr handelt nach den entsprechenden Prinzipien. Eine moderne Definition von Feminismus, auf die sich viele aktuelle Feminist*innen beziehen, ist: Feminismus ist der Kampf dafür, dass jeder Mensch unabhängig seiner Position in den gesellschaftlich wirksamen Kategorien gender, race, age, body, class und anderer die gleichen Chancen auf ein glückliches Leben ohne Angst und Benachteiligung haben soll[16]. Und das heißt eben nicht, dass der Kampf zu Ende ist, wenn alle Menschen die gleichen Rechte haben (also vor dem Gesetz gleich sind). Auch gesellschaftliche Praxen, die sich rechtlich nicht greifen lassen, müssen sich ändern: Verletzende Witze im Bekanntenkreis, Vorurteile bei Beförderungsentscheidungen, das Klima auf der Straße, das Catcalling[17] für viele Frauen zum Alltag macht, und vieles mehr.

Viele der oft vorhersehbaren Reaktionen — nicht nur, aber vor allem — männlicher Mitmenschen, habe ich nun behandelt. Als Mann steht es dir frei, ob du dich selbst als Feminist bezeichnen willst. Es ist auch innerhalb bestimmter feministischer Strömungen umstritten, ob Männer überhaupt Feministen sein können oder sich so nennen sollten[18]. Wie auch Robert Franken schreibt[19], ist jedoch unabhängig von der Frage der Bezeichnung die Mitwirkung selbstreflektierter Männer nötig, um feministischen Idealen endlich zu flächendeckendem Durchbruch zu verhelfen. Die Zahl der Baustellen, bei denen du konkret für eine Verbesserung eintreten kannst ist riesig, wie du oben gesehen hast. Hilf mit, unerträgliche Männergruppen zu zivilisieren!

Philipp Eigner | Juni 2022

Fußnoten:

[1] Stokowski in Spiegel

[2] Pickert in FAZ

[3] Vgl. Duden Mansplaining, FAZ Mansplaining

[4] Vgl. Welt Mansplaining

[5] Vgl. Welt Mental Load, Emmaclit Mental Load Comic

[6] Vgl. Deutscher Bundestag — Vergewaltigung in der Ehe

[7] Vgl. Deutsche Welle — Dieter Wedel

[8] Vgl. Bundeszentrale Politische Bildung — Gender Pay Gap

[9] Vgl. BMFSFJ — Gender Care Gap

[10] Vgl. dazu Bedeutung 1 in Duden Sexismus

[11] Vgl. BMFSFJ — Sexismus im Alltag, v.a. Kapitel 2: Was die Menschen unter Sexismus verstehen

[12] Eigner — Ausdrucksfähig ohne zu diskriminieren?

[13] Vgl. Ramadani in Cicero

[14] Vgl. Eigner — Whataboutism überwinden

[15] Vgl. Eva Blome, Alexandra Erfmeier, Nina Gülcher, Sandra Smykalla, Handbuch zur Gleichstellungspolitik an Hochschulen. Von der Frauenförderung zum Diversity Management?, ISBN 978–3–531–17567–6, S. 61

[16] Vgl. EDITION F — Definition Feminismus, dort wird sich u.a. auf Flavia Dzodans Zitat „MY FEMINISM WILL BE INTERSECTIONAL OR IT WILL BE BULLSHIT!” bezogen (Link zum Essay mit diesem Titel: Link), Auf Link wird die Bandbreite weiterer Feminismen behandelt. Es gibt keine Definition, auf die sich alle Unterstützer*innen des Feminismus gleichermaßen beziehen.

[17] Vgl. Spiegel — Catcalling

[18] Vgl. Warum es mir schwer fällt zu sagen: „Ich bin Feminist“, Können Männer Feministen sein?

[19] Vgl. Franken — Ohne Männer geht es nicht

--

--

Philipp Eigner

Photographer, Engineer and writer born in the last days of GDR, now based in Bremen. Passionate Feminist and Dancer. Photography: https://philippeigner.com/